Vergangene Zukünfte - Neue Vergangenheiten

Stimme zur historischen Erwachsenenbildungsforschung

Beatrix Niemeyer (Europa-Universität Flensburg)

Während der Sektionstagung in Halle hat mich die Frage nach „den Frauen“ in der Geschichte der Erwachsenenbildung ebenso irritiert wie die simplifizierenden Antwortversuche, mit denen in der Diskussion jeweils darauf reagiert wurde. Diese Irritation nehme ich zum Anlass, meine Überlegungen dazu zu Gehör zu bringen und ich freue mich sehr darüber, dass die Veranstalter: innen mit diesem Format der „Stimmen“ die Gelegenheit dazu bieten.

Warum sollten wir uns im Jahr 2019 (noch) über den Anteil von Frauen an der Geschichte der (Disziplin) Erwachsenenbildung versichern? Welche Erkenntnisse sind von einer solchen historischen Vergewisserung zu erwarten, die über eine quantitative und deskriptive Bilanzierung hinausweisen könnten?

Wissenssoziologisch steht eine Materialsammlung am Anfang der Konturierung eines neuen Feldes. Die Bearbeitung bisher unbekannter Phänomene oder mit bisherigem Wissen nicht zu erklärender Erscheinungen, beginnt mit der Sammlung von Beispielen, Fällen, Artefakten, deren vergleichende Analyse alsdann die Grundlage für Wissen schafft. Genderforschung macht dabei keine Ausnahme. Der Gründungsphase der heutigen Sektion Frauen- und Geschlechterforschung gingen zahlreiche Arbeiten zur historischen Frauenbildungsforschung voraus, mit denen die Beiträge von Frauen zur Geschichte von Bildung und Erziehung (oder deren Verhinderung) historisch belegt und rekonstruiert wurden (z. B. Kleinau/Opitz 1996; Kleinau/Mayer 1996) Dabei waren nicht wenige Frauen, deren Bildungspraxis als Beitrag zur Erwachsenenbildung gelesen werden konnte und kann (Niemeyer 1996; 2014).

In der Folgezeit haben sich nach der Etablierung der eigenständigen Sektion Frauen- und Geschlechterforschung Theorie und Empirie weiter ausdifferenziert. Nicht mehr die einzelne (weibliche) Person steht im Fokus der Betrachtung, vielmehr rahmen die Re/Produktionsmechanismen von Geschlecht als sozialer Differenzkategorie in ihren vielfältigen Erscheinungsweisen und – orten das Forschungsfeld. Genderforschung hat sich als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin etabliert. Vor diesem Hintergrund wäre aktuell also vielmehr zu fragen: warum wird in der aktuellen Erwachsenenbildungsforschung darauf kaum Bezug genommen? Wann und wieso ist der Faden einer genderorientierten Erwachsenenbildungsforschung abgerissen? Wieso haben sich Themensetzungen und Fragestellungen verschoben?

Eine dezidiert auf die Beiträge von Frauen orientierte historische Forschung, die danach fragt, welche spezifischen Geschlechterverhältnisse Theorie und Praxis von Erwachsenenbildung prägen und auf welche Weise sie reproduziert werden, scheint mir allerdings weiterhin Desiderat. Sehr gern würde ich in einen Verständigungsprozess darüber eintreten, wie Genderkonstruktionen in der EB nicht nur als Repräsentationen von Geschlecht in ihrer historischen Transformation zur Kenntnis zu bringen sind, sondern vielmehr auch darüber, wie sie als doing of social inequality weiter bzw. wieder zu thematisieren sind.

In der Folge habe ich nach Anschlussstellen im Memorandum zur historischen Erwachsenenbildungsforschung gesucht und dabei ganz allgemein den Eindruck gewonnen, dass die Perspektive auf Gender, d. h. die Mitberücksichtigung von Geschlecht als sozialer Differenzkategorie, kaum bedacht ist. Sie wirkt in alle der sechs definierten Forschungsfelder hinein, und verweist damit exemplarisch auf Querschnittsthemen, die mit der gewählten Systematik nicht oder unzureichend erfasst sind. Dazu gehört m. E. auch das Themenfeld der Internationalisierung/Transnationalisierung und damit die historische Perspektive auf diejenigen sozialen und politischen Prozesse, die auf supra- und/oder subnationaler Ebene Erwachsenenbildung hervorgebracht, gerahmt oder verhindert haben.

Ich schließe darum mit einem Plädoyer, die – wie mir scheint – im Memorandum etwas zaghaft angelegte sozialgeschichtliche Orientierung zu stärken, um aus dem historischen Vergleich Orientierungswissen für aktuelle Herausforderungen zu generieren.

Flensburg, 13. 12. 2019

Beatrix Niemeyer

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