Vergangene Zukünfte - Neue Vergangenheiten

Stimme zur historischen Erwachsenenbildungsforschung

Andreas Seiverth

Ausgehend von meinen Recherchen zur intellektuellen und politischen Biographie Heinz-Joachim Heydorns möchte ich anregen, die biographisch-zeithistorischen Erfahrungskontexte von Theoretikern und Praktikern der Erwachsenenbildung, die die historischen Konstitutionsphasen der Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik und nach dem 2. Weltkrieg geprägt haben, als theorie- und konstituionsrelevante Dimension für die institutionelle und disziplinäre Begründung der Erwachsenenbildung zu erforschen. Dabei wäre von der Hypothese auszugehen, dass die individuellen Deutungs- und Bewältigungsstrategien von lebensgeschichtlichen (Katastrophen-)Erfahrungen sowohl einen bedeutsamen Motivationshintergrund darstellen als auch für die gesellschaftlich-politische Aufgaben- und Funktionsbestimmung von Erwachsenenbildung wirksam geworden sind. An biographischen und systematischen Texten wäre dabei insbesondere der Einfluss vorherrschender Diskurskontexte auf die systematische Begriffsentwicklung der Erwachsenenbildung, ev. sogar die unmittelbare Abhängigkeit vom „Geist der Zeit“ herauszuarbeiten. Der „Bildungseffekt“ für Studierende, die sich an solcher historischen Forschungsarbeit beteiligen, dürfte u.a. auch darin liegen, dass sie sich selbst viel unmittelbarer und zeithistorisch geschult als „Akteure der Erwachsenenbildung“ erfahren und die Reflexion ihres Akteurstatus‘ als Element ihres Studiums begreifen lernen.

Gestatten Sie mir noch einen zweiten, nun unmittelbar berufsbiografisch bestimmten Hinweis, den ich in meinem Beitrag für das zweite Heft „Debatte – Beiträge zur Erwachsenenbildung“ schon kurz angedeutet hatte: Das auch für die Erwachsenenbildung vielfältig traktierte Theorie-Praxis-Verhältnis würde m. E. um eine sehr wichtige Dimension erweitert und bereichert, wenn diese Beziehung im Hinblick auf ihre bildungspolitisch institutionalisierte Gestalt anhand der Trägerdiskurse und insbesondere deren Projektpolitik untersucht werden würde. Dazu müssten sowohl die Archive der Träger für die Forschung geöffnet und zur Verfügung gestellt werden und insbesondere die Genese von Projektanträgen und Projektdesigns rekonstruiert werden. Dadurch würde die „Innenseite“ der öffentlichen Inszenierung des Verhältnisses von Politischen Vorgaben – verbandlichen Theorietraditionen und -kontexten – ökonomisch-finanziellen Interessen und verbandspolitischen Motivationen darstellbar gemacht werden. Ein spezifischer „professionstheoretischer Gewinn“ könnte sich daraus für Studierende ergeben, die einmal Leitungspositionen in Institutionen der Erwachsenenbildung innehaben werden. [Als biografische Anmerkung: Ich habe meine zwei Funktionen als Bundesgeschäftsführer zweier kirchlicher Erwachsenenbildungsorganisationen (der „Männerarbeit der EKD“ und der „Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung“ (DEAE) 1985 – 2016) nur auf der Basis eines Appendixstudiums der Pädagogik (Lehramt für Sek. II) sowie einer sechsjährigen Berufserfahrung als Berufsschullehrer (und zuvor für drei Jahre als Landwirt) wahrgenommen]. Für die Evangelische Erwachsenenbildung stünde das gesamte Verbandsarchiv der DEAE von 1961 – bis 2005 zur Verfügung, das ich bei meinem Ausscheiden als Bundesgeschäftsführer (2016) dem „Evangelischen Zentralarchiv“ in Berlin (auf der Basis eines Übereigungsvertrages) übergeben habe und das deshalb der Forschung zur Verfügung steht.

Aus dem Begründungsmotiv und dem Setting der „Werkstatt kritische Bildungstheorie“ ließe sich schließlich eine dritte Anregung ableiten, doch diese ginge über eine genuin „historische Forschungsperspektive“ hinaus, wenngleich der Rückbezug auf Theorietraditionen der Moderne für die Werkstatt-Programme jeweils explizit hergestellt wird. (vgl. www.werkstatt-kritische-bildungstheorie.de).

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